Möbel aus Karton sind zum Statement geworden für alle, die trotz Umweltschutz nicht auf modernen Stil verzichten wollen.

Was wurde gelacht über die Kartonbetten, in denen Athleten an den diesjährigen Olympischen Spielen nächtigen. «Instabil», «unbrauchbar», «Anti-Sex-Betten», spottete der amüsierte Mob auf Twitter. Dabei sind die Olympia-Betten von Airweave nur die etwas unglücklich vermarktete Speerspitze eines Trends, der langsam, aber stetig voranschreitet.
Betten und Stühle aus Karton stehen nämlich schon lange nicht mehr nur in muffigen Studenten-WGs. Es stimmt zwar, sie waren einst verschrien als hässliche braune Monster, umweht vom Duft der billigen Notlösung. Doch das hat sich geändert, seitdem angesehene Interior-Designer wie Shigeru Ban, Giorgio Caporaso oder Frank Gehry ganze Kollektionen aus Karton lancierten.

Heute findet sich das leichte und klimafreundliche Inventar auch in teuren Innenstadtbüros, wo Start-ups aus dem Boden spriessen und umweltbewusste Hipster zu Hause sind.
Der Reiz des Materials: Karton verschiedenster Stärken lässt sich in alle möglichen Formen pressen, anders als mit Holz oder Stahl sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Heute ist man bei der Farbauswahl nicht mehr auf Brauntöne limitiert, denn mit grossen Druckern können Muster und Farben aller Art auf die Pappplatten gebracht werden. Die kosteneffiziente Herstellung erfreut zusätzlich die Produzenten.
Ästhetik genauso wichtig wie Umweltbewusstsein
Wer Kartonmöbel kauft, bezahlt in erster Linie nicht das Material, sondern das Design. Auch wenn Karton mittlerweile relativ belastbar ist: Damit ausreichende Stabilität zu garantieren, ist gerade beim Konzipieren von ständig gebrauchten Alltagsgegenständen noch immer eine Herausforderung. Möbel aus Karton sind deshalb immer technisch gut durchdacht und meist raffiniert designt.
Zu den Wegbereitern des Trends gehört neben skandinavischen Firmen zweifellos das deutsch-kanadische Designbüro Nordwerk. Das Unternehmen stammt ursprünglich aus der puristischen Ökoszene, doch Firmengründer Maximilian Hansen hat es geschafft, den Umweltschutzgedanken hinter den rezyklierbaren Möbeln so zu verpacken, dass sie auch in gehobeneren Kreisen salonfähig wurden, die sonst nicht viel mit Klima am Hut haben.

Hansens Erfolgsrezept ist das elegante Design. Nordwerk-Möbel sehen so kunstvoll und mondän aus, dass man zuerst gar nicht bemerkt, dass das eigentlich Revolutionäre daran das Material ist. Nordwerk-CEO Hansen erklärt die Unternehmensphilosophie so: «Wenn es ums Design geht, sind wir offen und unvoreingenommen. Wenn es um Umwelt und Rezyklierbarkeit geht, sind wir dagegen streng und engstirnig.» Das Rezept scheint anzukommen, schliesslich wird Nordwerk Design schon nächstes Jahr zehnjährig.
Karton muss immer innovativ sein und Funktionalität bieten
Die Firma betreibt zwar einen Onlineshop, doch Geld ist nicht das Leitmotiv. Das beweist Nordwerk, indem das Unternehmen die Baupläne für eines seiner erfolgreichsten Möbel – den Sessel MC302 – kostenlos im Internet zur Verfügung stellt. Das Ziel sei es, möglichst viele Nachahmer zu finden, welche die Idee einer nachhaltigen Gesellschaft teilen, schreiben die Dresdener. Tatsächlich haben schon Klimafreunde auf allen Kontinenten Bilder von ihren selbst gebauten Sesseln auf Social Media gepostet.
Auch in der Schweiz werden nachhaltige Möbel produziert, zum Beispiel das Itbed einer St. Galler Firma. Das Bett ist so konzipiert, dass es sich schnell und einfach zusammenfalten lässt, es kann darum ohne Mühe überallhin transportiert werden. Das gleiche Unternehmen stellt zusätzlich futuristische Hocker und Liegen her.

Dass Kartonmöbel heute mehr sind als aufgemotzte Umzugskisten, zeigt sich an der veränderten Kundschaft. Die meisten Käufer sind zwar immer noch jung und umweltbewusst. Doch zu den studentischen Öko-Puristen sind Leute aus der arbeitenden Hipsterklasse hinzugekommen. Menschen, denen neben Klima- und Naturschutz auch Stil und Design wichtig sind und deren Lebensgefühl genauso leicht ist wie das Gewicht ihrer Kartonmöbel – trotz schwerwiegender Klimakrise.
Quelle: www.tagblatt.ch