Autor: Susanna Köberle
Schweizer Möbelhandwerk – Im Spannungsfeld von Tradition und Innovation positioniert es sich durch erstklassige Ausführung, innovativen Materialeinsatz, langlebige Produkte und Individualisierbarkeit.
Handwerk steht für Tradition und Geschichte. Doch es kann umgekehrt auch Innovation erwirken – wobei diese Aussage im Zeitalter der Massenproduktion widersprüchlich erscheinen mag. Ein Blick auf die aktuelle Situation in der Schweiz zeigt Chancen und Schwierigkeiten von handwerklich hergestellten Produkten auf. Dabei prägen spezifische Produktionsprozesse und Absatzmärkte die Realitäten dieser Branche.
Ein Grossteil der Schweizer Möbelhersteller sind Kleinbetriebe und beschäftigen weniger als 20 Personen. Einzelne Betriebe bieten kein eigenes Produktsortiment, sondern arbeiten als Hersteller für Handelsmarken. Die meisten Möbelmanufakturen sind auf bestimmte Möbeltypen spezialisiert und besitzen ein hohes handwerkliches Spezialwissen in der Verarbeitung von Werkstoffen. Historisch gesehen ist die Schweiz ein Land mit einer starken Handwerkstradition. Wer früher einen Handwerksberuf ausübte, war eine angesehene Person. Die Industrialisierung und die damit einhergehende Verlagerung auf maschinelle Produktion führten unter anderem zu einer sinkenden Wertschätzung für Handwerk.

Der Wunsch nach Entschleunigung und Individualität wirkt diesem Trend heute wieder entgegen. Doch trotz des aktuell vielfach beschworenen Handwerk-Revivals fehlt es dem Handwerk hierzulande an Nachwuchs. Das macht die Situation für viele Schweizer Kleinbetriebe schwierig, denn die Qualität der Produkte basiert auf dem spezialisierten und weitergegebenen Know-how. Handwerkliche Fertigung ist zudem zeitintensiv, was sich dementsprechend im Preis der Produkte niederschlägt. Auch die Herstellung in Kleinserien führt zu höheren Produktionskosten.
Obwohl das Label „Made in Switzerland“ internationale Anerkennung geniesst, ist der Absatz von Schweizer Möbelherstellern in der Regel regional und in gewissen Fällen auch von nationaler Relevanz. Nur wenige, grössere Hersteller exportieren ihre Erzeugnisse ins Ausland. Diesen erschwerten Umständen zum Trotz gelingt es einigen Schweizer Möbelmanufakturen, sich den wachsenden Herausforderungen des Marktes zu stellen und handwerkliche Fertigung als Chance zu nutzen. Das Schaffen von charakterstarken Nischenprodukten erweist sich dabei als Stärke.

Das Alleinstellungsmerkmal vieler handwerklich hergestellter Möbelstücke basiert auf der erstklassigen Ausführung oder auf einem innovativen Umgang mit Materialien. Daraus entstehen Produkte von aussergewöhnlicher Ausstrahlung und hoher Qualität. Zu den bekannten Schweizer Herstellern, die sich mit ihren hochwertigen Erzeugnissen auch international einen Namen gemacht haben, gehören etwa der Bugholzmöbelhersteller horgenglarus sowie die Polstermöbelproduzenten de Sede, Artanova oder Intertime. Bei Girsberger, Willisau Switzerland oder Seetal Swiss etwa steht der natürliche Werkstoff Massivholz und seine präzise Verarbeitung im Vordergrund.

Neben der modernen und zeitlosen Designsprache ist Langlebigkeit – und damit Nachhaltigkeit – ein weiteres überzeugendes Qualitätsmerkmal dieser Produkte. Viele der typisch schweizerischen Möbelmanufakturen sind Familienunternehmen, die seit mehreren Generationen bestehen. Generationenwechsel liefern dabei immer wieder frische Impulse und sorgen zugleich für Kontinuität. Die stetige Verbesserung und Optimierung der Produktionsprozesse bei gleichbleibender Qualität ist gerade bei kleineren und mittelgrossen Betrieben einfacher zu bewerkstelligen als bei grossen, tendenziell schwerfälligen Unternehmen.
Die Möglichkeit von Einzelanfertigungen betreffend Grösse, Materialwahl, Farbe oder Oberflächen-Finish ist ein weiteres starkes Verkaufsargument für Schweizer Möbel. Dabei können sich Kunden mit eigenen, auch ausgefallenen Ideen einbringen und es entsteht dadurch eine persönliche Beziehung zu den Möbelstücken. Der damit verbundene Aufpreis legitimiert sich durch den emotionalen und sinnlichen Mehrwert, den ein handwerklich hergestelltes Produkt hat. Seelenlose Massenware bleibt diesbezüglich auf der Strecke.
Eine weitere Stärke macht Handwerk zukunftsfähig: Häufig ist die Intelligenz unserer Hände der Motor für Innovation. Wo etwas maschinell nicht realisierbar scheint, findet sich manchmal erst im handwerklichen Experimentieren eine Lösung für komplexe technische Fragen oder materialbezogene Sonderwünsche.
Das Potenzial von Handwerk liegt in der Kombination von tradierten Werten und flexiblen Prozessen. Dank diesen Eigenschaften leistet Möbelhandwerk einen wertvollen Beitrag zur kulturellen und wirtschaftlichen Diversität des Schweizer Designschaffens.
